Medair: Notfhilfe im Libanon

Interview mit Abdul Dennaoui, Kommunikationsbeauftragter von Medair Libanon, zum Einsatz der Organisation 2024.

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Medair Nothilfe in Libanon
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10 Juni 2025
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Wie hat Medair ihr Programm aufgrund der Konflikteskalation im Südlibanon angepasst?

Der Konflikt an der südlibanesischen Grenze, der seit dem 8. Oktober 2023 besteht, eskalierte im September 2024 dramatisch und führte zu über 3800 Toten und zur Vertreibung von 1,4 Millionen Menschen – die grösste Vertreibungskrise des Landes. Die Luftangriffe im ganzen Land und die grenzüberschreitende Invasion Israels zerstörten grosse Teile der Infrastruktur und viele Menschen mussten aus ihren Häusern flüchten. Viele fanden Schutz in Schulen, die zu Notunterkünften umfunktioniert wurden.

Als Reaktion auf die steigenden Bedürfnisse der Bevölkerung stellte Medair schnell von regulären Programmen auf Nothilfemassnahmen um und intensivierte die Bemühungen, um die Grundbedürfnisse der Betroffenen zu decken. Dazu gehörte der Betrieb eines riesigen 8.000 m² großen UNHCR-Lagers, das als humanitäre Drehscheibe für viele Hilfsorganisationen diente und als erste Reaktion wichtige Güter wie Decken und Matratzen bereitstellte.

Ausserdem leisteten von Medair ausgebildete Freiwillige aus den Gemeinden in Sammelunterkünften und Gesundheitszentren psychologische Erste Hilfe für Menschen, die von traumatischen Ereignissen betroffen waren, um ihnen bei der Bewältigung der Situation zu helfen. Unsere Organisation erweiterte auch ihr Angebot an medizinischer Versorgung, indem sie zu den beiden bereits unterstützten Gesundheitszentren in Gebieten mit einem hohen Zustrom von vertriebenen Patient:innen vier weitere hinzufügte. Zusätzlich zur Versorgung der Menschen im Zentrum selbst versorgte jedes Zentrum mehrere Sammelunterkünfte in seinem Einzugsgebiet durch mobile Gesundheitsteams.

Wir unterstützen und helfen einander. Ich habe Angst, dass wir uns an die aktuellen Lebensbedingungen anpassen, und das wollen wir nicht. Wir wollen nach Hause zurückkehren.“ 

Marwa, eine libanesische Binnenvertriebene,
die mit ihrer Familie in einer Schule Zuflucht fand. 

Wie hat sich der Konflikt auf die Arbeit und die Mitarbeitenden der Organisation ausgewirkt?

Um die Kontinuität unserer Programme und die Sicherheit unseres Teams angesichts der zunehmenden Instabilität zu gewährleisten, hat Medair seinen umfassenden Sicherheitsplan aktualisiert, strenge Sicherheitsprotokolle verschärft, die Bürozeiten angepasst und je nach Intensität der Luftangriffe Homeoffice eingeführt, sowie vorübergehend ein neues Büro an einem sichereren Ort eröffnet. Regelmässige Risikobewertungen in Gebieten mit hohem Risiko sowie fortlaufende Sicherheitsbesprechungen ermöglichten es unseren Teams, auf dem Laufenden zu bleiben und die Gefährdung zu verringern. Darüber hinaus stand Medair in unseren Einsatzgebieten in engem Kontakt mit lokalen Führungskräften, Gemeinden, Partnern und wichtigen Ansprechpersonen auf Gemeindeebene.

Über die operativen Herausforderungen hinaus hatte der Konflikt auch direkte Auswirkungen auf die Mitarbeitenden von Medair und ihre Familien und schuf ein höchst stressiges Umfeld voller Unsicherheit und Ungewissheit. Die emotionale Belastung, die das Miterleben des Leidens von Kolleg:innen und Gemeinden mit sich brachte, trug zu psychischer Anspannung und Erschöpfung bei. Trotz dieser Herausforderungen blieb unsere Organisation der Bereitstellung humanitärer Hilfe verpflichtet, passte sich kontinuierlich an die sich entwickelnde Krise an und stellte das Wohlergehen sowohl des Personals als auch der Gemeinden, denen wir dienen, in den Vordergrund.

„Um unsere Arbeit mit Integrität fortzusetzen, müssen wir über das blosse Handeln und Denken hinausgehen und auch unser Wohlbefinden fördern. (…). Doch selbst wenn wir nach Erneuerung streben, bleibt die Nachfrage bestehen – und so auch unser Engagement.“ 

Anna Chilvers, Medair-Landesverantwortliche für den Libanon

Welche Rolle spielte der glaubensbasierte Ansatz von Medair während dieser Notsituation?

Unser glaubensbasierter Ansatz war für das Team im Libanon ein Leitstern, als es die immensen Herausforderungen meisterte und unsere jüngste Intervention war von Mitgefühl, Hoffnung und Widerstandsfähigkeit geprägt. 

Angesichts der Verwüstung und Unsicherheit schöpfte unser Team Kraft aus dem Gebet, aus dem Zusammenhalt untereinander und aus ihren Gemeinden – im Glauben daran, dass es selbst in der Dunkelheit Hoffnung gibt. Diese Grundlage hat sowohl unser Team als auch diejenigen, denen wir dienen, gestärkt und uns daran erinnert, dass wir dazu berufen sind, in Krisenzeiten ein Leuchtfeuer des Friedens und des Dienstes zu sein.

Dieses Interview ist Bestandteil des Jahresberichts 2024 von Interaction, der am kommenden 23. Juni an der Generalversammlung den Mitgliedern vorgestellt wird. 

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